Braucht die Welt noch `n Beziehungsratgeber? Und braucht sie dann meinen?

Wenn ich mich umschaue und umhöre – ja. Denn wirklich gelingende Paarverbindlichkeiten sind fast gar keine darunter. Hört man den beteiligten Menschen genau zu, klingen die Kompromisse durch, die von Anfang an auf beiden Seiten gemacht worden sind.

Aus dem tiefen inneren Bedürfnis nach Verbundenheit baut Frau emotionale Brücken zum Partner, die dieser dann mit Schranke, Zollhäuschen und Wegezoll versieht und die Öffnungszeiten festlegt.

Mann hingegen versucht plötzlich eine Freiheit zu retten, die er zuvor häufig als Einsamkeit erlebt hat. So verteidigt er seine Lebensumstände, statt sich einzulassen.

Beide Seiten haben etwas falsch gemacht, denn in dem großen Bemühen, die `bessere Hälfte´ im Äußeren zu finden, versäumen sie, selbst im Inneren ein Ganzes zu werden. Das ist nun keine bahnbrechende neue Erkenntnis – sie lässt sich in allen Ratgebern jedweder Coleur finden – aber warum beachten wir sie dann so wenig?

Trennt sich ein Paar, entsteht häufig die Einsicht in diese Notwendigkeit, aber kaum trifft man einen neuen Partner, hat man alles vergessen und übersieht wieder alle Hinweise und Stoppschilder; das Leiden beginnt von vorne: der eine will sich nicht wirklich binden und die andere versucht etwas herzustellen, was nicht da ist.

Was versäumen wir zu tun in der Phase zwischen zwei Beziehungen? Wider besseres Wissen? Wie können wir – jeder für sich – so in unsere Kraft kommen, dass wirkliche Begegnung in Freiheit möglich wird?


Diesen Fragen möchte ich im Folgenden nachgehen und versuchen, aus meiner ganz eigenen Sicht verschiedene Ebenen zu beleuchten.


Ich möchte gleich zu Anfang die Leserinnen hinweisen auf viel sehr gute Literatur zum Thema Partnerschaft: Willi, Möller, Stierlin, Zurhorst, Hellinger und viele andere, außerdem der für mich wichtigste: Wilber – sie alle haben große und wichtige Beiträge geleistet, an denen ich mich nicht messen will.

Aber ich möchte klarstellen, dass viele meiner Ideen und Ansichten natürlich von den von ihnen entwickelten Konzepten geprägt und beeinflusst sind, und das hin und wieder durchscheinen mag.

Ich erhebe keinen wissenschaftlichen Anspruch, beziehe mich aber in manchen Aussagen auf heute allgemein anerkanntes und gültiges Wissen über psychologische, emotionale und geistige Entwicklung des Menschen. Für diejenigen, die sich im Einzelnen für die konkreten Inhalte anderer Denkerinnen und Forscherinnen interessieren, empfehle ich das Lesen der Originale.

Das meiste des im Folgenden Dargelegten jedoch beruht auf Jahren meines eigenen Erkenntnisweges mit dem steten Streben, hinter die Dinge zu schauen, sie zu durchdringen und zu verstehen.

Aus unserer frühkindlichen Prägung haben wir tief die – oft unerlöste – Bereitschaft mitgebracht, dem Menschen, den wir am meisten lieben, zu vertrauen, wenn sie/er uns Richtung und Orientierung gibt.

Sie/er ist unsere Richtschnur für richtig und falsch, für erwünschtes und unerwünschtes Verhalten, für erlaubt und nicht erlaubt. Wir sind als kleine Menschen so abhängig, dass wir vertrauen müssen.

Nun bringt das Größer-Werden aber auch die Erkenntnis mit sich, dass die, denen wir vertrauen, sich irren können. Gelingende Erziehung hat in mir selbst bis dahin so viel Vertrauen aufgebaut, dass ich mir selbst zum Lehrer und Erzieher werde und damit in Unabhängigkeit komme von dem, was mir von außen vorgegeben wird.

Dass wir es nicht geschafft haben bemerken wir, wenn andere uns kritisieren und wir uns sofort in dem Bemühen wiederfinden, es jetzt aber richtiger zu machen.

Damit habe ich dem Maßstab des Anderen mehr Gewicht beigemessen als meinem eigenen.

Zu Menschen, die uns egal oder sogar unsympathisch sind, kriegen wir eine deutliche Grenze hin im Wissen um das, was unserem eigentlichen Wesen entspricht.

Aber wenn wir lieben?


Wir leisten von Anfang an eine ungeheure Anstrengung, uns dem, was unser Gegenüber über uns herausfinden und an uns entdecken will, nicht einfach offen und neugierig hinzugeben, sondern herauszufinden, wie wir uns korrigieren müssen, damit der Andere uns auch ja immer liebt.

Wir haben so Angst, uns zuzumuten, weil wir immer um den Verlust der Liebe fürchten. Dem möchte ich entgegenhalten: dann lieben wir uns selbst nicht genug, dann sind uns unsere Mauern wichtiger als die mögliche Begegnung.

Klar, wir alle tragen Narben früher und früherer Verletzungen. Aber bleiben mir die alten Erfahrungen immer nur Ausrede, mich nicht zu öffnen für das Leben und die Möglichkeit, eine andere, neue Erfahrung zu machen, nutzt kein Seminar, keine Therapie und auch dieser Text nicht; an dem Punkt stagniert jede Entwicklung. So vertun wir unser Potential als Menschen, und, ich glaube, deswegen ist Geschichte so langsam. Wir lernen so früh uns zu schützten, zu verteidigen, ggf. anzugreifen und zurückzuschießen: Terminologie des Krieges, die wir dann gesellschaftlich wiederholen, weil wir es individuell zwar besser wünschen, aber nicht umsetzten können.

Nun ist mit Sich-Öffnen keineswegs gemeint, blind und völlig grenzenlos einem Gegen-über alles anzubieten, sondern gerade im Bewusstsein um eigene Defizite nicht den Partner zu missbrauchen, diese abzudecken.

Bleibe ich mir meiner eigenen Wunden unbewusst, so erlebe ich permanentes Scheitern in der Bedürfnisbefriedigung – welcher Art das Bedürfnis auch sein mag. Abhängig von der eigenen Biographie kann das Akzeptanz sein, Sportlichkeit, Kreativität oder Romantik…Letztlich sind das alles Spielarten unseres am besten gehüteten Geheimnisses: dem Bedürfnis nach Nähe mit anderen Menschen.

Was wir – besonders die Frauen – kennen, ist dieses große schwarze Loch, in das wir hineinlieben, und dabei die Physik vergessen: was da hineingeht, kommt nie wieder zurück!

Was ist mit diesem Loch gemeint?

Wir alle tragen Defizite in uns. Das liegt u.a. daran, dass wir in der Regel Erzieher (Eltern, Großeltern, Geschwister etc.) hatten, die uns aus ihrem Defizit heraus begegnet sind und von uns, mehr oder weniger ausgeprägt, das Füllen dieser Löcher erhofften.

Und das tun Kinder für ihre Eltern: sie tragen deren emotional-seelischen Rucksack so gut sie es vermögen – aus Liebe. Es ist meine Überzeugung, dass daraus auch unsere Vorstellung über Liebe geprägt wird: ich trage des Anderen Schicksal, und je angestrengter ich das tue, umso mehr ist es Beweis meiner Liebe. Der Grad an aufgewendeter `Mühe-Energie´ ist Maß für die Kraft meiner Liebe. Es ist die Verantwortung des Erziehenden, das zu verhindern. Meine eigenen Eltern haben es nicht hingekriegt. Also musste ich als Erwachsene schmerzhaft lernen, ihnen ihr Schicksal zurück zu geben und im Vertrauen auf die darin wirksamen Kräfte sie aus meinem eigenen Leben zu entlassen.

Zu meinem Ex-Mann hin habe ich diesen Schritt versäumt. Und damit überhaupt nur den halben Schritt zu mir hin getan. Denn es kann doch nur darum gehen, mein eigenes Schicksal zu tragen und dafür in die Verantwortung zu gehen. Wenn ich das nicht tue, ist die `Arbeit´ am Partner eine Ablenkung, die sich rächt, denn das Leben findet einen Weg, mich aus der Anmaßung, ich könne für einen anderen Schicksal wenden oder bestimmen, heraus und auf mich selbst zurück zu werfen. Aber wenn wir einander etwas abnehmen wollen um zu vertuschen, dass der andere uns eigentlich tragen soll, sitzen wir auf einem Pulverfass, das eines Tages unweigerlich hoch geht. Meines jedenfalls ist explodiert...

Weil mir meine Eltern nicht aus eigener Fülle begegnen konnten, war ich als Kind mehr damit beschäftigt, ihre Mängel zu erlösen, als meine eigenen Stärken zu entdecken und zu entwickeln. Das passierte überwiegend auf einer emotionalen und geistigen Ebene. So blieben wiederum in mir Defizite = Löcher.

So bin ich nur eine Hälfte, die dann einer männlichen Hälfte begegnet, und heraus kom-men immer nur Hälften. Etwas Ganzes kann ich mit dem anderen nicht werden, nur mit mir selbst.

Und Bewusst-Seins-Schulung ist der einzige Weg dahin.

Welche "Schule" wir uns dafür suchen, ist am Ende nicht so wichtig, wichtig ist, dass sie uns die notwendige Einsicht in die gegebenen geistigen Gesetze gewährt und uns die Ethik vermittelt, die wir im Handeln brauchen.


Hier sind ein paar Gedanken nur angerissen, die ich aber in einem den Rahmen dieses Artikels nicht sprengenden Umfang nicht anders darstellen kann. Für Fragen stehe ich gerne zur Verfügung.

November 2010