Es geschah in der Fremde

Aufgebrochen bin ich mit viel Widerstand – und jene, die mit Mut und Entdeckerlust ins Abenteuer "Leben" gezogen sind, haben mich irritiert.

Ich wollte nur zurück, stattdessen war ich der Fremde ausgeliefert. Ich habe mich so geliehen gefühlt, dass es Jahre dauerte zu begreifen, dass mich niemand abholt, sondern ich es mit diesen fremden Menschen, die allgemein Eltern heissen, aushalten muss.

In mir drin ist Heimat als Gefühl. Der vielleicht einzige Wegweiser zu Orten und Menschen, bei denen es sich richtig anfühlt.

Aber die Möglichkeiten sind als Kind beschränkt – und kaum hatte ich mich abgefunden, wurde ich auch noch mir selbst fremd, weil mein Körper einen Schritt vorgab, der tiefer und weiter weg führte von da, wo gerade weniger Fremde entstanden war.

Am anderen Ende der Pubertät dann war ein so umwälzender Prozess vollzogen, dass ich glaubte, es nun geschafft zu haben. Weit gefehlt: konfrontiert mit vielen neuen Fremden in der Fremde musste ich nach dem "Ich" das "Du" ken-nenlernen. Ich verstand nach und nach, dass wir fast alle nur Vertrautheit mit dem Gefühl der Fremde kennen – und dass das im Alter immer schlimmer werden kann, denn die Sehnsucht nach "zu Hause" wächst.

So bemühen wir uns, unser äußeres Leben festzuzurren und einzubetonieren, während die Angst vor dem Fremd-Sein immer grösser wird.

So verweigere ich mich dem geistigen Prinzip "Leben" als das sich Erkennen-Wollen.

Heute weiß ich:

Fremde geschieht

immer dort, wo ich mich weigere, mich selbst (er)kennen zu lernen in der Begegnung mit dem Anderen.

Dezember 2008